de (e)re publica

Day 1,084, 01:50 Published in Germany Germany by djnewdream

Wer während seiner schulischen Laufbahn unter Latein gelitten hat oder aber einfach nur ein gutes Allgemeinwissen hat, wird sicher feststellen, dass ihm die Überschrift bekannt vorkommt. Genau! Über den Staat hat schon vor der Geburt Jesu (lateinischer Dativ!) ein berühmter Philosoph und Rhetoriker namens Cicero geschrieben. 57 v. Chr. war ihm gerade langweilig und so schrieb er „de re publica“, eine philosophisches Buch zum Thema Staatsbildung, Sinn des Staates und deren Inhalte.

Neben der Tatsache, dass schon so früh so detailreich und ausgewöhnlich prägnant die Herrschaftssysteme analysiert wurden, ist es wohl kein Wunder, dass dieser Mann trotz seines bemitleidenswerten Untergangs noch heute eine gewisse Bekanntheit genießt.

Warum ist das Auseinandersetzen mit dem Thema Staat wichtig?
Um es vorweg zu nehmen, man muss chronologisch vom „RL-Staat“ zur eRepublik kommen, alles andere hätte keinen Sinn und wäre inhaltslos und bedeutungslos.
Es ist deshalb wichtig, um zu sehen, welche Formen des Staates es gibt und welche Vor- und Nachteile gewisse Staatsformen haben. Nicht umsonst gibt es einen Haufen von Herrschaftsformen, wie der Demokratie, der Monarchie, der Alleinherrschaft (oder Autokratie), der Diktatur und der Anarchie. Diese ganzen Modelle haben dann wieder noch unterschiedliche Auslegungen (damit auch verschiedene Untermodelle), sodass man auf gut zwanzig ungleiche Herrschaftssysteme kommt.

Mal ehrlich, warum machen wir uns so viel Gedanken um sowas?
Wie wir sehen, ist die Demokratie doch super! Uns geht es gut, Europa geht es gut, der Welt geht es…ach nein, das stimmt dann doch nicht.

Kommen wir langsam zu eRepublik. Wie der Name verraten lässt, spielt das ganze Konstrukt auf eine demokratische Grundeinstellung, auf mehrheitliche Wahlen und liebenswerte Kongressdiskusionen an. Wir nehmen es als gegeben hin, denn wir sind mit der Demokratie aufgewachsen und lernen darin zu leben, und wir lernen systematisch, sie zu lieben. Dass es noch andere Herrschaftsformen in Europa gibt, vielerorts die konstitutionelle Monarchie oder auch Diktaturen bzw. Warlord-Herrschaften, fällt erstmal ganz weg. Kann sich jemand vorstellen, wie Spieler aus dem Kongo hier in eRepublik verloren gingen würden? Die würden Augen machen, was das für komische Sitten sind hier.

Aber wir lieben die Demokratie so sehr, weil es die ultimative Herrschaftsform ist. Ist sie?
In eRepublik für manche Staaten auf keinen Fall! Bei den geringen Spieleranzahlen in manchen Staaten macht es nicht mal Sinn, sich selbst zu verwalten. Wieder einmal versuchen wir (als westliche Anhänger) dem Rest der Welt unser Verständnis von perfekter Herrschaftsform aufzudrücken. Mit „wir“ sind sowohl die Spielentwickler als auch die Spieler selbst gemeint.

Alles Nichtdemokratische ist mehr als falsch, eher schädlich! Sowas kann es nicht geben, eine Diktatur, die Sinn ergibt, oder andere Formen, die auch nur annähernd den Erfolg hätten in der modernen Gesellschaft. Ihr glaubt, was im letzten Satz steht? Klar, es gab NIE erfolgreiche Diktaturen (stimmt fast), NIE Monarchien, die der Demokratie überlegen sind. Stichwort Portugal, Philippinen (sozialistische Diktatur) und die zahlreichen ehemaligen Monarchien. Und indem wir uns dieses Gedankenkonstrukt verwehren, schneiden wir mit dem schärfsten Messer in unser eigenes Fleisch, und entrechten uns von Tag zu Tag mehr.

Mal davon abgesehen, dass einige europäische Staaten meines Erachtens nicht mehr den Sinn einer demokratischen Grundordnung vertreten bzw. diese vortäuschen, gibt es nur noch das Zentralorgan EU (hier Phoenix).
Von dubiosen, zugleich auch von schrecklichen Umständen begleiteten, Staaten wie dem Kongo oder Ähnlichen nicht anders zu erwarten, aber wer würde mit dem Vorwurf einer Entdemokratiesierung schon auf die BRD mit dem Finger zeigen? Wäre das nach dem GG nicht sogar schon Hetze gegen den Staat, gar demokratiefeindliche Äußerungen? Wir lassen immer weniger Kritik am System zu, weil wir den perfekten Optimaten gefunden haben, der es nur leider nicht ist. Warum das Spiel wohl kein Modul für eine Änderung der Herrschaftsform eingebaut bekommen hat? Klingt es glaubwürdig, wenn ich sage, dass dieser Gedanke den Entwicklern niemals in den Gedanken gekommen ist? Wohl kaum.

Wo ist also die freie Wahl?
Habe ich am Ende wirklich nur die Wahl zu spielen oder nicht zu spielen, nur weil der Weltwesten sein Herrschaftsmodell aufzubinden versucht? Ja. Eine Kritik am Spiel durch einen Artikel, der durch die Spielmechanik erlaubt ist, wird wohl ebenso unerwünscht wie ungelesen untergehen. Wenn nicht, dann wird nachgeholfen.

Es lebe die Meinungsfreiheit, die Gedankenfreiheit und das Recht auf freie Religionsfreiheit. Niemand akzeptiert, dass die Welt nicht nur aus einer Kultur besteht, die zu jedem Thema gleich reagieren, andere Gesichter machen, gar empörend über demokratische Verhältnisse klagen. Wie kann das bloß sein? Wir werden in unserer eingeschränkten Freiheit, die angeblich ach so groß ist, eingesperrt, in der Hoffnung, dass man sich zufrieden gebe mit dem, was man hat. Immerhin ist das auf dem Papier ziemlich viel. Aber ein Wort gegen die demokratischen Staaten, und du wirst der Volkshetze beschuldigt.

Hat schon mal jemand bemerkt, wie sich der deutsche Staat in den letzten zehn Jahren zu einem Sicherheitsstaat entwickelt hat? Nein? Schade, aber wenn man mal 70 Jahre zurückblickt, sieht man irgendwie Ähnlichkeiten. Aber keine Angst, wir leben und lieben die Demokratie so sehr, dass wir sie niemals abschaffen könnten. Wir werden bloß auch noch dann in der Demokratie leben, wenn „demos“, das Volk, sich nur noch vor sich selbst schützt und alle einer politischen Linie folgen, was wir als unglaubliche Freiheit charakterisieren.

Und, freilich, ist es wirklich anders?
Ich bezweifle nicht, dass es in Deutschland schlecht steht um den Wohlstand, aber um das Gesellschaftssystem und die Herrschaftsform. Schon heute wird, wie von der freien Wirtschaft gefordert, um Arbeitsplätze gekloppt und die Ellbogengesellschaft potenziell vervielfacht. Wirklich alles wird um uns herum so geschaltet, dass wir das Denken auf das Denken anderer beschränken, die uns nämlich unbewusst zukommen lassen, was wir denken sollen und in welche Richtung sich der Verstand entwickeln soll. Und danach wird es wieder etwas mulmig, darüber will man gar nicht nachdenken. Kann man ja auch nicht, als Anhänger der wahren Herrschaftsform, weil ja alles perfekt ist.

Ich weiß, der Bezug zu eRepublik ist heute etwas flau, genauso wie das Fazit, was ich ziehe:
Wir beugen uns der Obrigkeit (auch Admins). Und wir werden wieder fallen, obwohl wir wissen, dass wir fallen und obwohl wir wissen, dass es verdammt weh tun kann / wird (s. Finanzkrise).

Wenn wir ehrlich sind, gibt es in eDeutschland keine wahrhaftige Demokratie, wohl eher eine Herrschaft der Aktiven über Leichen und andere Aktive, die es gerade mal nicht in den Kongress geschafft haben. Aber die Frage nach dem Herrschaftsmodell ist nach dem westlichen Verständnis, wie auch hier in eRepublik, unangebracht. Warum auch, uns geht es gut, hier in (e)Deutschland, hier in Europa. Dass die Demokratie auch Schattenseiten haben kann, dürfen wir zum Selbstschutz nicht mehr sehen. Dass die Demokratie mancherorts externe Schäden anrichtet, die nicht nur die Umwelt betreffen, sondern auch das gute Humankapital, ist unwichtig. Verblendung und mediale Einflüsse sind das „A und O“ der aufrichtigen Demokratie.

Wenn wir doch nur halb so aufrichtig die Demokratie leben und lieben würden, könnten wir heute noch Cicero für seine Werke danken. Das schaffen wir aber nicht, denn jener Cicero wird schon seit einiger Zeit wie ein Bohrer im Grabe rotieren.

Das einzige, wirkliche Fazit, das bleibt, ist:
Werdet euch bewusst darüber, was ein freier Geist bedeutet. Es ist zwingend nötig, und hier ist jetzt der Ratschlag, sich frei von jeden Vorurteilen zu machen. Sich selbst ein Bild zu machen. Selbst zu denken. Das gilt auch für eRepublik. Lasst nicht zu, dass ihr in Verblendung zu selbstbewussten Wendehälsen werdet. Ihr müsst das Ideal der Freiheit in Euch tragen und aufrecht erhalten, denn das kann (bisher und für die nächsten 70 Jahre hoffentlich) euch keiner nehmen. Die Ideale der Volksherrschaft, der Herrschaft der Zusammenkunft, die es uns ermöglicht, auch hier zusammen zu sein und uns friedlich (wenn auch in einer sinnlosen Kriegssimulation, das immer mehr Anteil am Spiel gewinnt) gegenseitig bespielen und fertig machen.


Ich hoffe, ihr versteht meine Intention und verzeiht mir die WoT.

Kritische Grüße von
djnewdream