de (e)re publica
djnewdream
Wer während seiner schulischen Laufbahn unter Latein gelitten hat oder aber einfach nur ein gutes Allgemeinwissen hat, wird sicher feststellen, dass ihm die Überschrift bekannt vorkommt. Genau! Über den Staat hat schon vor der Geburt Jesu (lateinischer Dativ!) ein berühmter Philosoph und Rhetoriker namens Cicero geschrieben. 57 v. Chr. war ihm gerade langweilig und so schrieb er „de re publica“, eine philosophisches Buch zum Thema Staatsbildung, Sinn des Staates und deren Inhalte.
Neben der Tatsache, dass schon so früh so detailreich und ausgewöhnlich prägnant die Herrschaftssysteme analysiert wurden, ist es wohl kein Wunder, dass dieser Mann trotz seines bemitleidenswerten Untergangs noch heute eine gewisse Bekanntheit genießt.
Warum ist das Auseinandersetzen mit dem Thema Staat wichtig?
Um es vorweg zu nehmen, man muss chronologisch vom „RL-Staat“ zur eRepublik kommen, alles andere hätte keinen Sinn und wäre inhaltslos und bedeutungslos.
Es ist deshalb wichtig, um zu sehen, welche Formen des Staates es gibt und welche Vor- und Nachteile gewisse Staatsformen haben. Nicht umsonst gibt es einen Haufen von Herrschaftsformen, wie der Demokratie, der Monarchie, der Alleinherrschaft (oder Autokratie), der Diktatur und der Anarchie. Diese ganzen Modelle haben dann wieder noch unterschiedliche Auslegungen (damit auch verschiedene Untermodelle), sodass man auf gut zwanzig ungleiche Herrschaftssysteme kommt.
Mal ehrlich, warum machen wir uns so viel Gedanken um sowas?
Wie wir sehen, ist die Demokratie doch super! Uns geht es gut, Europa geht es gut, der Welt geht es…ach nein, das stimmt dann doch nicht.
Kommen wir langsam zu eRepublik. Wie der Name verraten lässt, spielt das ganze Konstrukt auf eine demokratische Grundeinstellung, auf mehrheitliche Wahlen und liebenswerte Kongressdiskusionen an. Wir nehmen es als gegeben hin, denn wir sind mit der Demokratie aufgewachsen und lernen darin zu leben, und wir lernen systematisch, sie zu lieben. Dass es noch andere Herrschaftsformen in Europa gibt, vielerorts die konstitutionelle Monarchie oder auch Diktaturen bzw. Warlord-Herrschaften, fällt erstmal ganz weg. Kann sich jemand vorstellen, wie Spieler aus dem Kongo hier in eRepublik verloren gingen würden? Die würden Augen machen, was das für komische Sitten sind hier.
Aber wir lieben die Demokratie so sehr, weil es die ultimative Herrschaftsform ist. Ist sie?
In eRepublik für manche Staaten auf keinen Fall! Bei den geringen Spieleranzahlen in manchen Staaten macht es nicht mal Sinn, sich selbst zu verwalten. Wieder einmal versuchen wir (als westliche Anhänger) dem Rest der Welt unser Verständnis von perfekter Herrschaftsform aufzudrücken. Mit „wir“ sind sowohl die Spielentwickler als auch die Spieler selbst gemeint.
Alles Nichtdemokratische ist mehr als falsch, eher schädlich! Sowas kann es nicht geben, eine Diktatur, die Sinn ergibt, oder andere Formen, die auch nur annähernd den Erfolg hätten in der modernen Gesellschaft. Ihr glaubt, was im letzten Satz steht? Klar, es gab NIE erfolgreiche Diktaturen (stimmt fast), NIE Monarchien, die der Demokratie überlegen sind. Stichwort Portugal, Philippinen (sozialistische Diktatur) und die zahlreichen ehemaligen Monarchien. Und indem wir uns dieses Gedankenkonstrukt verwehren, schneiden wir mit dem schärfsten Messer in unser eigenes Fleisch, und entrechten uns von Tag zu Tag mehr.
Mal davon abgesehen, dass einige europäische Staaten meines Erachtens nicht mehr den Sinn einer demokratischen Grundordnung vertreten bzw. diese vortäuschen, gibt es nur noch das Zentralorgan EU (hier Phoenix).
Von dubiosen, zugleich auch von schrecklichen Umständen begleiteten, Staaten wie dem Kongo oder Ähnlichen nicht anders zu erwarten, aber wer würde mit dem Vorwurf einer Entdemokratiesierung schon auf die BRD mit dem Finger zeigen? Wäre das nach dem GG nicht sogar schon Hetze gegen den Staat, gar demokratiefeindliche Äußerungen? Wir lassen immer weniger Kritik am System zu, weil wir den perfekten Optimaten gefunden haben, der es nur leider nicht ist. Warum das Spiel wohl kein Modul für eine Änderung der Herrschaftsform eingebaut bekommen hat? Klingt es glaubwürdig, wenn ich sage, dass dieser Gedanke den Entwicklern niemals in den Gedanken gekommen ist? Wohl kaum.
Wo ist also die freie Wahl?
Habe ich am Ende wirklich nur die Wahl zu spielen oder nicht zu spielen, nur weil der Weltwesten sein Herrschaftsmodell aufzubinden versucht? Ja. Eine Kritik am Spiel durch einen Artikel, der durch die Spielmechanik erlaubt ist, wird wohl ebenso unerwünscht wie ungelesen untergehen. Wenn nicht, dann wird nachgeholfen.
Es lebe die Meinungsfreiheit, die Gedankenfreiheit und das Recht auf freie Religionsfreiheit. Niemand akzeptiert, dass die Welt nicht nur aus einer Kultur besteht, die zu jedem Thema gleich reagieren, andere Gesichter machen, gar empörend über demokratische Verhältnisse klagen. Wie kann das bloß sein? Wir werden in unserer eingeschränkten Freiheit, die angeblich ach so groß ist, eingesperrt, in der Hoffnung, dass man sich zufrieden gebe mit dem, was man hat. Immerhin ist das auf dem Papier ziemlich viel. Aber ein Wort gegen die demokratischen Staaten, und du wirst der Volkshetze beschuldigt.
Hat schon mal jemand bemerkt, wie sich der deutsche Staat in den letzten zehn Jahren zu einem Sicherheitsstaat entwickelt hat? Nein? Schade, aber wenn man mal 70 Jahre zurückblickt, sieht man irgendwie Ähnlichkeiten. Aber keine Angst, wir leben und lieben die Demokratie so sehr, dass wir sie niemals abschaffen könnten. Wir werden bloß auch noch dann in der Demokratie leben, wenn „demos“, das Volk, sich nur noch vor sich selbst schützt und alle einer politischen Linie folgen, was wir als unglaubliche Freiheit charakterisieren.
Und, freilich, ist es wirklich anders?
Ich bezweifle nicht, dass es in Deutschland schlecht steht um den Wohlstand, aber um das Gesellschaftssystem und die Herrschaftsform. Schon heute wird, wie von der freien Wirtschaft gefordert, um Arbeitsplätze gekloppt und die Ellbogengesellschaft potenziell vervielfacht. Wirklich alles wird um uns herum so geschaltet, dass wir das Denken auf das Denken anderer beschränken, die uns nämlich unbewusst zukommen lassen, was wir denken sollen und in welche Richtung sich der Verstand entwickeln soll. Und danach wird es wieder etwas mulmig, darüber will man gar nicht nachdenken. Kann man ja auch nicht, als Anhänger der wahren Herrschaftsform, weil ja alles perfekt ist.
Ich weiß, der Bezug zu eRepublik ist heute etwas flau, genauso wie das Fazit, was ich ziehe:
Wir beugen uns der Obrigkeit (auch Admins). Und wir werden wieder fallen, obwohl wir wissen, dass wir fallen und obwohl wir wissen, dass es verdammt weh tun kann / wird (s. Finanzkrise).
Wenn wir ehrlich sind, gibt es in eDeutschland keine wahrhaftige Demokratie, wohl eher eine Herrschaft der Aktiven über Leichen und andere Aktive, die es gerade mal nicht in den Kongress geschafft haben. Aber die Frage nach dem Herrschaftsmodell ist nach dem westlichen Verständnis, wie auch hier in eRepublik, unangebracht. Warum auch, uns geht es gut, hier in (e)Deutschland, hier in Europa. Dass die Demokratie auch Schattenseiten haben kann, dürfen wir zum Selbstschutz nicht mehr sehen. Dass die Demokratie mancherorts externe Schäden anrichtet, die nicht nur die Umwelt betreffen, sondern auch das gute Humankapital, ist unwichtig. Verblendung und mediale Einflüsse sind das „A und O“ der aufrichtigen Demokratie.
Wenn wir doch nur halb so aufrichtig die Demokratie leben und lieben würden, könnten wir heute noch Cicero für seine Werke danken. Das schaffen wir aber nicht, denn jener Cicero wird schon seit einiger Zeit wie ein Bohrer im Grabe rotieren.
Das einzige, wirkliche Fazit, das bleibt, ist:
Werdet euch bewusst darüber, was ein freier Geist bedeutet. Es ist zwingend nötig, und hier ist jetzt der Ratschlag, sich frei von jeden Vorurteilen zu machen. Sich selbst ein Bild zu machen. Selbst zu denken. Das gilt auch für eRepublik. Lasst nicht zu, dass ihr in Verblendung zu selbstbewussten Wendehälsen werdet. Ihr müsst das Ideal der Freiheit in Euch tragen und aufrecht erhalten, denn das kann (bisher und für die nächsten 70 Jahre hoffentlich) euch keiner nehmen. Die Ideale der Volksherrschaft, der Herrschaft der Zusammenkunft, die es uns ermöglicht, auch hier zusammen zu sein und uns friedlich (wenn auch in einer sinnlosen Kriegssimulation, das immer mehr Anteil am Spiel gewinnt) gegenseitig bespielen und fertig machen.
Ich hoffe, ihr versteht meine Intention und verzeiht mir die WoT.
Kritische Grüße von
djnewdream
Comments
In jedem System gibt es grob erklärt nur 2 Klassen.
Auf der einen Seite die Unterdrücker und ihre Günstlinge, welche gar nicht verstehen können, dass ihr System ungerecht ist und andere Leute dagegen revoltieren könne, weil sie es ihnen ja so gut geht und sie im warmen Nest sitzen.
Auf der anderen Seite gibt es die Unterdrückten, welche durch das neue System stark bis komplett entrechtet und benachteiligt werden, bis hin zur Verfolgung und Folterung.
JEDES System ist so aufegebaut, egal ob Demokratie, Monarchie, Theokratie oder sonst eine Staatsform.
JEDES System hält sich für das einzig wahre und ist jederzeit dazu bereit Gewalt einzusetzen um seine Authorität durchzusetzen und "Staatgefährder" mundtot bis ganz tot zu machen.
Die Kunst des Überlebens besteht darin die Unterdrückerschicht zu stellen und die Unterdrückten unter die eigene Kontrolle zu bringen, um nicht selbst unterdrückt zu werden.
Dies mögen einige Gutmenschen zwar nicht haben wollen (Stichwort Günstlinge) aber genau so sah die Menschheitsgesichte immer aus,so sieht sie auch derzeit aus und so wird sie auch in Zukunft bleiben, weil die menschliche Gier nach Geld und Macht nun einmal ein Urinstinkt des Menschen ist.
first: das Klatschi sowas schreib war mir klar.... : ( Klatsche du hast echt einen an der Klatsche, bzw. Moral ist ein Fremdwort für dich, nicht wahr?
secon😛 Supergeiler Artikel und so was von voted! Weiter so, und mehr davon!
Frag mal die korrupten etablierten Ausbeuter was die von Moral halten.
Und dabei sollen diese Typen von sich selbst reden und nicht auf andere ablenken.
zitat 1:
"Die Kunst des Überlebens besteht darin die Unterdrückerschicht zu stellen und die Unterdrückten unter die eigene Kontrolle zu bringen, um nicht selbst unterdrückt zu werden."
zitat 2:
Frag mal die korrupten etablierten Ausbeuter was die von Moral halten.
Schlußfolgerung:
du möchtest also gern auch ein korrupter etablierter Ausbeuter sein?
"Und dabei sollen diese Typen von sich selbst reden und nicht auf andere ablenken."
Du liest nur was dir gefällt oder?
Außerdem hat es keinen Sinn mit Günstlingen zu reden, die bescheißen schon nicht ihr eigenes Nest.
Auch hier solltest du besser lesen:
"Auf der einen Seite die Unterdrücker und ihre Günstlinge, welche gar nicht verstehen können, dass ihr System ungerecht ist und andere Leute dagegen revoltieren könne, weil sie es ihnen ja so gut geht und sie im warmen Nest sitzen."
rengaru, schön, dass du dein Wissen mit einbringst, erweitert den Artikel durchaus positiv. Dass Cicero Anhänger der Monarchie war und die Volkesherrschaft als ineffizient und gefährlich bezeichnete, ist mir durchaus klar. Ich teile eine ähnliche Meinung. Da der Text sowieso schon überladen ist, wollte ich nich noch mehr Aspekte einbringen über Nebensächlichkeiten, die für meine Intention unerheblich sind.
Was seinen Ruf als Politiker angeht, teile ich deine Ansicht nicht. Er hat durch seine Rechtsanwendung in die Politik gefunden, dort als homo novus die cursum honorum durchlaufen. Etwas außergewöhnlicheres gab es bis dato nicht.
@ Klatsche und Lehmann: Verteilt nich so viel Spam, danke! : )
das hat auch gaius marius schon vor ihm getan (so cicero auch zeit seines [marius' ] leben in seinem schatten gestanden hat).
marius halt ich btw auch für den bedeutenderen politiker. nicht nur, dass er außerordentliche militärische erfolge einfahren konnte (cicero war eher ein unterdurchschnittlicher feldherr), und seine reform der heeresorganisation militärisch genial wie innenpolitisch wirksam war (beteilung des proletariats!), als er auch für die weitere entwicklung bedeutsamer war (7 maliger konsul, der erste, der die legion als innenpolitisches druckmittel gebrauchte, lehrer und förderer des sulla, von jenem durch tatsächlich ersten militäreinsatz in römischer urbs abgesetzt, verteidiger gegen die echte saturninische verschwörung, gegner der gracchen, onkel des caesar.
und ciceros ruf als verteidiger der republik begründet sich auf jenen zur staatsgefährdenden verschwörung aufgeblasenen, tatsächlich innenpolitisch eher unbedeutenden (weil gängiger usus und auch nur 2, 3 handvoll unterstützer) 'vorfall' des catilina. das ständige hervorstreichen seines 'verdienstes' wird schon von zeitgenossen bespöttelt.
und was ciceros prinzipien angeht (immerhin ist er "für" den widerstand gegen caesar gestorben): wenn 'sein' diktator gesiegt hätte, wäre er dann immer noch widerständler (des prinzipes wegen) gewesen? oder doch eher teilhaber an dessen system?
die maßgebenden römischen politiker der hochzeit der klassischen römischen republik waren mMn eher marius, sulla, die gracchen, cato d.j., caesar und octavian, da sie wirkliche visionen hatten und diese umsetzten / umzusetzen suchten.
die admins hams gegeben, die könns auch wieder nehmen und alles andere ist für das Spiel irrelevant, wenn auch vielleicht im rl durchaus interessant.
ach und ich bin irgendwie froh das nicht die Inaktiven über die Aktiven herrschen😁 (auch wenn man jetzt was böses über den Kongress sagen könnte)
wie drückte churchill es doch so treffend aus?
"Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von denen, die wir schon vorher ausprobiert haben."
voted!
zu viel text, voted
Wusste gar nicht das Polenklatsche Anhänger der Klassenkampftheorie ist ... auch wenn sich Marx bei seiner Schlussfolgerung im Grab rumdreht
@djnewdream: Vote (abonniert ist sie ja schon lange), deine Zeitung ist eine wirkliche Bereicherung für eRep, weiter so!
Macht immer wieder Spaß zu lesen!
tl;dr
alles gelesen, danke, wieder interessant.
aus Wikipedia (durch Rengaru´s Timokratiebegriff [ = treffend ] drauf gestoßen):
"Grundsätzlich herrschte in der antiken Staatstheorie seit Platon die Vorstellung, dass jede am Gemeinwohl orientierte Herrschaftsform (Monarchie (auch: Basileia), Aristokratie, Demokratie) ein entartetes, nur an den Interessen der Herrschenden orientiertes Gegenstück habe (Tyrannis, Oligarchie, Ochlokratie).[4] Gerade bei der Betrachtung der beiden Formen der Volksherrschaft wird die Unterscheidung zwischen Gemeinwohl (Demokratie) und den kumulierten Interessen der einzelnen Bürger deutlich: Wenn jeder nur an sich denkt und aus diesem Interesse heraus handelt, schadet er letztlich dem Gemeinwohl."
Gemeinwohl ist oberstes Gut, gerade im schweizer Calvinismus ist das ganz gut verankert. Inwiefern das heute noch Realität ist weiß ich nicht, von der Anlage finde ich das aber i.O.
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