Geburtstagsgeschichten und Melancholie

Day 2,934, 11:49 Published in Germany Poland by Cerablir
Der hauptamtliche Redakteur der Magdeburger Gezeiten musste sich vor kurzem einen runden Geburtstag ansehen, und schrieb währenddessen einige Gedanken nieder. Diese wollen wir euch nun nicht vorenthalten!

Die Tür des Autos schloss sich, und ich stand im Schlamm. Die leerstehende Baustelle hatte ihre Dreckausläufer bis auf den Parkplatz des eTivoli gelegt. Ich würde gerne auf eine Krake Bezug nehmen, doch irgendwie macht das keinen pädagogisch wertvollen Sinn. Biologisch abbaubar und wirtschaftlich tragbar sind Vergleiche von Baustellen und Kraken auch nicht, also lassen wir es sein.
Die Temperaturen bewegten sich um den Gefrierpunkt herum, der Wind ließ sie gefühlt auf Sibirische Werte fallen. Auch die Farblosigkeit der Gegend machte die Stimmung nicht unbedingt wärmer. Das nächste Auto fuhr auf den Parkplatz, wieder Familienmitglieder. Mag sein, dass ich alle viel zu selten sehe.
Aber heute, heute fehlte mir das Verlangen danach. Mir ging es nicht unbedingt schlecht, ich bin eher zu melancholisch gewesen. Meine Augen betrachteten die - für mich in diesem Moment - leblosen Körper, und meine Arme wurden gezwungen sie zu drücken. Dort standen die nächsten, meine Hände wurden berührt und geschüttelt. Auf dem grauen Parkplatz, abseits der eigentlichen Stadt, direkt an der Hauptstraße. Wenn es nach mir ginge, könnte der Laden abgerissen werden. Einige Bäume und eine Wiese hätten es auch getan. Das Gebäude steht jedoch schon einige Jahrhunderte, wie auch immer.

Der markant grüne Kleiderständer erklärte sich bereit, meine Jacke zu tragen. Eine Jacke, eine Hülle die ich bei Bedarf schließen kann, um zu fliehen. Eine Kapuze, die ich aufsetzen kann, um mich zu verbergen, und um nicht mitzukriegen, was neben mir und um mich geschieht.
Wieder diese Umarmungen, und das Aufstellen in einem Kreis um alle nun kommenden Geister, ich meine Menschen, ebenso zu begrüßen. Die Kellnerin bot mir Sekt ein, doch ich griff lieber zum Orangensaft. Abgesehen davon, dass ich kein Freund von Alkohol bin, und nach dem heiligen Gesetzbuch des Staates bin ich sowieso noch nicht fähig, alkoholische Dinge zu mir zu nehmen. Sie hatten nur nicht damit gerechnet, dass ich eSchwarzwälder Kirschtorte aß, wie böse ich doch war. Und was für eine Ironie, die so ironisch ist, dass sie nicht als Ironie bezeichnet werden kann, ich wieder besaß.

Die Tischkarten setzen mir zu. Ich wurde in die Mitte zwei Älterer Menschen gesetzt, und mir schwebten schon wieder ihre Gedanken im Kopf. Ihre Gedanken, dass meine Generation nur aus Schwachsinn und Unzucht besteht. Geht doch wieder zurück, wenn ihr unsere Errungenschaften nicht haben wollt. Tischkarten austauschen war jedoch keine Schwierigkeit, und schon saß ich neben aushaltbaren Menschen. Wie ich mein Glück kannte, würde ich am heutigen Abend keine Person in meinem Alter haben, ergo musste ich mich alleine beschäftigen. Ein Bleistift und Papier wurden ausgewählt, um an diesem Abend meine besten Freunden zu sein.
Die Fratzen des Buffets sahen mich an, und der Kampf um die besten Schnitzel wurde begonnen. Wer sich erst Suppe holte, hatte automatisch verloren. Ich habe keine Lust vom Essen zu schreiben, stellt euch lieber ein üppiges Buffet vor, mit sprechenden Kartoffeln und hüpfenden Hühnerkeulen, mit langen haarigen Beinen.

Die Boxen im Saal schwangen Schallwellen mit Stimmen von eHelene und eAndrea. Vielleicht auch noch einigen weiteren Sängerinnen. Doch leider sind deren Stimmen alle so ähnlich wie Wasserstoffatome anderen Wasserstoffatomen. Die Tanzfläche erschien leer, so sagte es mir mein müder Verstand. Ob mir dieser, geblendet vom Gelächter der Menschen, geblendet von der Musik, die Wahrheit sagte, wird mir wohl immer verschlossen bleiben. Und die kleinen Styroporquader aus der Dekoration beschäftigten mich schon den ganzen Abend über. Sie hafteten an meiner Kleidung wie Parasiten, die mir auch den Verstand rauben wollten.
Machte das alles eigentlich Sinn? Ist jede dieser Feiern nicht gleich, dieselbe Musik, dieselben Menschen die über die nachfolgenden Generationen lästern. Alles funktionierte wie immer. Dasselbe Essen, dieselben Gespräche, nur die Jahre wurden ausgetauscht. Ist es der Alkohol, oder warum merkte niemand was hier falsch läuft?
Immer noch saßen sie alle da, wie Statuen von eMedusa, dieselben Bewegungen der Lippen mit dreißig Falten und siebzehn grauen Härchen mehr. Und dann sollte es irgendwann vorbei sein, jeder würde wieder seinen Weg zur Arbeit gehen, in den Trott des Alltags, um Geld hinterherzulaufen. Was rede ich nur wieder...

Wir, ich, alle die anders denken. Ja, wir sind Psychopathen. Hirnverpresste, suizidgefährdete eMarsianer. Nur weil wir anders sind, unserer Zeit voraus.
Die Kellnerin stellte mir eine Kerze vor die Nase. Langsam schmolz das Wachs. und der Docht wurde langsam frei. Die Flamme brannte orange und blau. Ich versuchte die Symbolik darin zu erkennen, so viele Ideen schwirrten mir im Kopf. Was würde mir eine Flamme sagen? Die Flamme meines Lebens, die Flamme, das Mädchen welches meine Flamme intensiver macht, bis ich mich selbst von innen heraus verbrenne. Sie brannte weiter, so wie die Flamme in mir auch weiter brennt.

Bis das Wachs verschwindet.
Bis kein Docht mehr vorhanden ist.

Fröhlich bleiben!

Magdeburger Gezeiten